Genuss
Capoeira – ein Sport, der Kampf, Tanz und Musik verbindet
Ob es auch eine Gruppe für Anfänger und Anfängerinnen gibt, wird Professor Eduardo oft gefragt. Er unterrichtet in Wien Capoeira und trägt den Titel „Professor“ als Rangordnungstitel im Graduierungssystem dieses Sports. „Nein“ – entgegnet er dann erstaunt und mit einem breiten Lächeln „jeder macht hier das gleiche Training“, und deutet auf eine kleine Gruppe in weißer Sportkleidung, die gerade dabei ist ihre Muskeln zu dehnen. Ein Tambourin wird herumgereicht und jeder und jede, spielt ein bisschen damit, ein Mädchen bindet sich Tape um die Fußballen, Wasserflaschen werden aufgefüllt.
Einsteiger lernen in den ersten Stunden die Grundbewegungen von den Fortgeschrittenen und vom Trainer selbst, der immer darauf achtet, dass die Schüler und Schülerinnen sich gegenseitig fordern – und respektieren.
Capoeira ist eine faszinierende Sportart, die Kampf, Tanz, Spiel und Akrobatik miteinander verbindet. Die ältesten Belege des Capoeira reichen bis ins 16. Jahrhundert hinein. Es wird weithin angenommen, dass die Capoeira von afrikanischen Sklaven entwickelt wurde, die ihr Training als Tanz tarnen mussten, da die Sklavenherren jede Art von Kampftraining untersagten. Die Formen der Capoeira entwickelten sich weiter und besonders in den Hafenstädten Rio de Janeiro, Recife und Salvador da Bahia taten sich Capoeiristas zu Banden zusammen um gegen die Obrigkeitskräfte zu kämpfen. Nach der Abschaffung der Sklaverei blieb die Capoeira noch bis weit ins 20. Jahrhundert verboten. Das Verbot wurde erst aufgehoben als die Mestres Bimba (Manoel dos Reis Machado 1899-1974) und Pastinha (Vicente Joaquim Ferreira Pastinha 1889-1981) Anfang der 30er Jahre die ersten Capoeira-Schulen in Salvador, Bahia gründeten, und mit ihren Vorführungen der modernen Kampfkunst den damaligen nationalistischen Diktator Getúlio Vargas beeindrucken konnten.
Mestre Bimba war der erste, der Capoeira als brasilianischen Nationalsport etablieren konnte. In der auch heute noch ausgeübten Form der Capoeira Regional integrierte er Elemente des Batuque mit asiatischen Kampfsportarten, um den Kampf noch effizienter zu gestalten. Im Unterschied zum Capoeira Regional ist das Spiel in der Capoeira Angola bodennäher, trickreicher und etwas langsamer.
Die vielen verschiedenen Capoeira Gruppen, die sich mittlerweile in der ganzen Welt formiert haben, pflegen die Techniken der alten Meister und variieren diese jede in ihrem eigenen Stil. In der Roda – einem Kreis von Musizierenden – treffen sich zwei „Spielende“ zum Kampf. Die Musik bestimmt dabei den Rhythmus des Spiels und gibt den Teilnehmenden Energie. Das Hauptinstrument der Capoeira ist die Berimbau – ein aus einfachen Mitteln gefertigtes Instrument, das aber relativ schwer zu spielen ist. Ein ausgehöhlter Kürbis bildet den Klangkörper. Daran ist ein biegsamer Holzstab aus elastischem Biriba-Holz befestigt, zwischen dessen Enden eine Metallseite gespannt ist, die aus dem Inneren alter LKW-Reifen stammt. Ein flaches Steinchen zwischen Holzstab und Seite geklemmt bestimmt die Tonhöhe. Ein Holzstab, der auf die Seite geschlagen wird, formt den eigenwilligen Klang. Die mündlich überlieferten Lieder werden auf portugiesisch gesungen und erzählen in einer Art Endlosrhythmus Geschichten über die alten Meister der Capoeira sowie Legenden, die sich darum ranken. Gute Capoeiristas beherrschen nicht nur die Angriffs- und Verteidigungstechniken, sondern ebenso die Instrumente und Lieder und beschäftigen sich mit der Philosophie der Capoeira. Das zentrale Element der Capoeira ist Malicía, was soviel wie „Kriegslist“ oder „Schläue“ bedeutet. Wie die Schlange, die in ihrem Loch sitzt und auf Beute wartet: Sie ist vorbereitet, und sobald die Beute eintrifft, schlägt sie zu. Das vielleicht mächtiger Gegenüber hat keine Chance und unterliegt ohne Gegenwehr.
Capoeiristas müssen ihren Körper entspannt halten und auf spielerische Art einsetzen, dabei flink und kraftvoll agieren. Das Befolgen einer Rangordnung, Respekt gegenüber den Mitgliedern der Gruppe und seinem eigenen Körper sowie Demut gegenüber den Wellen, die das Leben schlägt, sind oberstes Gebot. Zum Abschluss eines Spiels drücken die Spielenden ihre rechte Faust leicht gegeneinander und verabschieden sich mit dem Wort „Axé“, was soviel wie „gute Energie“ bedeutet.
Es lohnt sich, die oft kostenlos angebotenen Probestunden verschiedene Capoeira-Trainings zu besuchen, um für sich den richtigen Stil und die passende Gruppe zu finden, empfiehlt der aus dem brasilianischen Núcleo Bandeirante stammende Capoeira-Professor Luiz Eduardo Garcia Fonseca, der die Gruppe Porão Capoeira in Wien unterrichtet.
Bilder: Flickr/Théo Bondolfi & Ede Marcus